Per Anhalter mit einer Reisegruppe

Das klingt ja verwegen! Die Erklärung ist ganz einfach. Viele der Leute, die auf dem letzten Foto auf die Ausreise von Bolivien warten, gehören zu einer brasilianischen Reisegruppe. Klar, wenn du irgendwo wartest, beobachtest du deine Mitwartenden. Naja, die meisten Leute haben keine Zeit mehr zum Beobachten ihres Umfeldes, ihr Blickt klebt auf der Glasscheibe des Smartfones. Aber ich bin leidenschaftlich neugierig und schaue immer zu, was meine Mitmenschen treiben. Manchmal denke ich ich mir Geschichten zu dem Gesehenen aus. So auch heute. Eine ältere Frau fällt mir besonders auf. Sie ist laut, sie entfernt sich von der Gruppe um dann lauthals wieder dazu zu stoßen. Oder, sie will sich vordrängeln! Das wird sie nicht wagen, wo wir hier schon so lange stehen! Langer Rede, kurzer Sinn, meine neue "Freundin" gehört sehr wohl zu der Reisegruppe. Der Leiter ist ein junger Mann, der jetzt, wo wir schon auf die Einreise nach Brasilien warten, sich zu einem älteren Mann gesellt, der genau vor uns wartet. Mir fällt auf, dass der Reiseleiter in einer Plastiktüte ein dickes Pack Pässe hat. Oh weia, das kann dauern, bis er für die alle die Einreiseformalitäten erledigt hat! Da ich manchmal meine Scheu überwinde, habe ich die beiden Männer gefragt, ob sie uns vorlassen würden. Natürlich! Danke. Ab da haben wir uns unterhalten. Vater und Sohn heißen beide Willi. Des Vaters Familie ist irgendwann aus Deutschland gekommen. Der Sohn spricht glücklicherweise Englisch. Als sie hören, dass ich unterwegs nach Brasilia bin, bieten sie mir an, mit der Reisegesellchaft bis Goiania  zu fahren. Dort wohnen alle. Und ab da sind es nur noch zwei Stunden bis Brasilia.

Der Einladung bin ich gefolgt. Das habe ich nicht bereut. Ich bin überrascht über die große Freundlichkeit einer völlig fremden Person gegenüber. Mit vielen jungen Frauen habe ich mich unterhalten. Sie haben mich nach Deutschland gefragt, wollen wissen was mit den Flüchtlingen ist. Gabriela spricht Deutsch - nicht perfekt, aber sie plant in zwei Jahren nach Schwäbisch Gemünd zu fahren. Wir unterhalten uns über die großen Unterschiede unserer Länder. Brasilien ist so riesengroß. Du fährst Stunde um Stunde durch die gleiche Landschaft ohne in eine nennenswerte Stadt zu kommen, kaum Verkehr, außer schweren Lastzügen und dann und wann einem Personenwagen. Die Felder nehmen kein Ende! Soja und Zuckerrohr scheinen hauptsächlich angebaut zu werden. Dann wieder kilometerlange Anpflanzungen von schnellwachsenden Eukaliptusbäumen. In Deutschland ist alles klein. Aus dem Flugzeug sehen unsere Felder wie ein  bunter Flickenteppich aus. Überall gibt es Ansiedlungen, und der Verkehr auf den Straßen hört nie auf. Wir können in einem Tag sehr gut von Norddeutschland bis Süddeutschland fahren. Um vom Süden Brasiliens in den Norden zu kommen und du bist verrückt genug, mit dem Bus zu reisen, brauchst du sicher 14 Tage.

 

 

Wir haben eine Übernachtung in Campo Grande und erreichen am folgenden Abend kurz vor 22 Uhr Goiania. darf ich jaulen: mein linkes Bein tut mir so weh. Das braucht heute Nacht eine besondere Behandlung durch Hochlegen. Aber ehe es ans Hinlegen geht, kommt der herzliche Abschied von "meiner"  Reisegruppe. Der junge Willi bringt mich gemeinsam mit seinem Bruder, der die Familie abholen kommt, zu einem Hotel in der Nähe. Er vergewissert sich, dass der Kollege, der morgen an der Rezeption arbeitet, auf jeden Fall englisch spricht. Süss! Zum Abschied nehmen wir uns in den Arm. Ich bedanke mich noch einmal für die fürsorgliche und freundliche Aufnahme durch die Reisegruppe und deren  Leitung. Ich sehe mich immer und überall als Abgesandte meines Landes. Ich möchte gern, dass die Menschen deren Land ich bereise, den Eindruck gewinnen, dass Deutsche  "sowas von nett" sind.

Zum Abschluss zeige ich das Foto, das ich heute früh aus der 5. Etage meines Hotels gemacht habe. Hier leben 2 Mio Menschen und ich muss gestehen, ich hatte nicht einmal den Namen der Stadt vorher gehört.

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