Bogota, aus meiner persönlichen Sicht

Eigentlich ist mein Plan, dass ich diese letzte Reise durch die Anden genieße.

Aber dazu ist der Bus schon zu "fertig". Ich vermute, dass er diesen wilden Ritt durchs Gebirge jeden Tag unternimmt. An einem Tag hin, am nächsten zurück. Dabei kann schon mal die eine oder andere Schraube verloren gehen, oder sich einer der Sitze in der letzten Reihe aus seiner Verankerung lösen. Wo die Sitzgurte abgeblieben sind, wird ein Rätsel bleiben. Aber die Hauptsache ist, dass wir zwar drei Stunden später als geplant, aber immerhin unbeschädigt, unser Ziel erreichen.

Dem Busfahrer, der sich schon beim zweiten Stau im Anflug auf Bogota von seinem besten Freund, dem Beifahrer, verabschiedet, schulden wir großen Dank.  Trotz aller Strapazen bringt er uns heil durch die unzähligen Kurven und überholt mehr Laster, als ich bei der Sicht für möglich gehalten hätte! Sein Fahruntersatz unterwirft sich widerwillig - wenn ich die Motorengeräusche richtig interprätiere, seinem Fahrstil und trotz unzähliger Abbrüche des Randstreifens,  befürchtet ich nie, dass wir die Abkürzung in die Tiefe nehmen.

Das Hotel ist schnell erreicht, das Zimmer in Ordnung. Mein Protest setzt ein, als ich feststelle, dass ich kein Internet habe. Beim dritten Auftritt an der Rezeption und immer neuen Codes, die ich eingeben soll, reißt mir der Geduldsfaden. Morgen möchte ich ein anderes Zimmer haben.

Die Tauben führen hier ein herrliches Leben. Sie werden nicht verjagt sondern gefüttert. Falls du es noch nicht erkannt hast, die Frau ist nicht Aschenputtel, die mit Hilfe ihrer gefiederten Freunde die Linsen sortiert, sondern sie füllt dünne Plastiksäcke mit Vogelfutter. Der Verkäufer steht schon neben ihr. Und der Handel floriert.

Ich überquere heute zum ersten Mal den Platz. Das ist eine Mutprobe. Ich habe Angst vor flatternden Vögeln. Die brauche ich hier nicht zu haben. Die Tauben lassen sich nicht stören.

Das Gebäude, zu dem die Stufen hinauf führen, ist die Kathedrale von Bogota. In der Mitte des Platzes steht das Denkmal des Freiheitskämpfers Simon Bolivar.

Das großartige Gebäude auf der linken Seite ist das Columbianische Parlament. Die weißen Gestelle zeigen, dass es für Besucher gesperrt ist. Schade.

Und wer ist der alte Mann in der Mitte des grünen Platzes?

Er heißt Rufino Jose Cuervo, ist 1844 in Bogota geboren und 1911 in Paris gestorben. Er war Schriftsteller, Sprachwissenschaftler und Philologe. Nach dem Latein-  und Griechischstudium widmete er sich dem Studium der verschiedenen Dialekte des in Columbien gesprochenen Spanisch. Seine Sorge war, dass das gesprochene Spanisch so zerfallen würde, wie es dem Latein nach dem Untergang des Römischen Reiches ergangen ist. Damals bildeten sich unabhängige Sprachen wie Spanisch, Italienisch und Portugiesisch.

Warum ich das erwähnenswert finde? Wir sind stolz auf die in Hanau geborenen Grimms, von denen zwei später berühmte Sprachwissenschaftler wurden. So schließt sich der Kreis.

Ich besuche auch Kirchen. Diese gefällt mir besonders gut. Sie ist schlichter als manch ein pompöses Gotteshaus. Ich habe viel wofür ich mich bedanken kann. Dass dieses Haus so leer ist, täuscht. Es findet gerade ein Gottesdienst in einer Seitenkapelle statt.

Mein Highlight des heutigen Tages ist das Colonial Museum. Ich verbringe mehr als zwei Stunden lesend und Bilder betrachend.

Der Bogen wird gespannt von Sevilla, von wo aus die Schiffe in die Neue Welt fuhren, bis zu den Einflüssen, die Siedler,  ursprüngliche Bevölkerung und versklavte Menschen aus Afrika aufeinander ausübten und heute noch ausüben.  Wer von euch nach Bogota kommt, muss unbedingt dieses Museum anschauen!

 

Mittlerweile habe ich meine Künstlerfreunde wieder besucht. Botero, Richter, diesmal habe ich neben den beiden auch den gerade in Quito kennengelernten Guayasaman entdeckt und an seinem Malstil erkannt.

Als ich aus der Stadt zurück komme, sind meine Sachen schon vom freundlichen Personal umgezogen worden. Ich habe nicht nur ein funktionierendes Internet sondern auch ein Fenster nach draußen. Juchhu!

Eine ebenso große Freude habe ich an der Entdeckung, dass mein Hotel sich fast in der gleichen Straße befindet, wie das, in dem ich während meines letzten Aufenthaltes gewohnt habe. Damit sind alle Orientierungssorgen beseitigt. Ich fahre mit dem TransMilenio, gehe zum zweiten Frühstück in meine alte Bäckerei und weiß wohin ich die Wäsche zu tragen habe!

Ein sonniger Sonntagmorgen in Bogota. Vor der Bergkulisse befindet sich das Zentrum. Wie du siehst, ist das die Richtung in der die Radler unterwegs sind. Nicht nur sonntags sondern auch an Feiertagen sind die großen Autostraßen bis um 2 Uhr für alles was einen Motor hat, gesperrt. Ich bin, wie schon im letzten Jahr, fasziniert.  Die Stadt gehört den Menschen. Und die Bevölkerung nutzt die Chance. Alles was rollt oder läuft, ist unterwegs. Und in der Innenstadt steppt der Bär. Die Museen sind kostenlos. Theater gibt es genug auf der Straße. Wer würde nicht gerne Elvis noch einmal sehen und hören oder Michael Jackson erleben bei seinem Moondance.

Besonders beliebt ist die Carrera 7. Kein Wunder, sie wird gerade zum Fussgänger- und Fahrradweg umgebaut. Sie führt die Menschenmassen vom Colpatria Tower bis zur Kathedrale, in der historischen Altstadt.

Das tanzende Paar sind der, der seinen Hut in den Ring geworfen hat und eine Columbianerin, die sich vom Tanzfieber des Professionellen hat anstecken lassen. Auf der Treppe hinter mir sitzen ihre Fans. Wir alle klatschen Beifall nach ihrer gelungenen Einlage. 

Der Colpatria Tower ist in den 70gern gebaut worden und war lange Zeit mit seinen 196m der höchste Wolkenkratzer der Stadt. Man kann mit einem der 15 Fahrstühle hochfahren, aber nur freitags. Leider. Wenn ich die Aussicht auf die Stadt hätte genießen können, wäre mein Foto noch  fantastischer geworden!

Die Carretera 7 ist zwar zum Teil immer noch Baustelle. Aber was kümmert das die Schachspieler! Wenn ein Spieler noch keinen Partner gefunden hätte, wäre ich eingesprungen. Dazu hätte es keiner besonderen Spanischkenntnisse bedurft.

Diese saubere, freundliche, helle Unterführung gehört zum öffentlichen Nahverkehr des TransMilenio und führt mich vorbei an Fotos etlicher Menschen, die in Bogota leben, zur Station. Musiker lieben die Akkustik. Und ich liebe, außer dem guten Klang, das Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden. Ich vergleiche diese Situation mit den Unterführungen in unserer schönen Stadt - besonders mit der am Hauptbahnhof. Da ist noch viel Luft nach oben!

Es ist Montag. Da sind auch hier die Museen geschlossen. Aber es gibt noch etwas anzuschauen, was ich auch im letzten Jahr nicht geschafft habe. Der Park vor dem die Plastik von Botero steht, ist ein ruhiger Ort. Er befindet sich in der Nähe des Hauptfriedhofs der Stadt.

Ich bin ungefähr die einzige Besucherin - außer dem Jungen und einem Vater mit Sohn habe ich die ganze Pracht für mich alleine. Ich schlendere herum, schau mir die Plastiken an und komme an einem etwas längeren Gebäude vorbei, in dem sich die sanitären Anlagen befinden. Alles ist geöffnet und sauber. Das wissen sicher auch die Gartenarbeiter zu schätzen, dass es einen Ort gibt, an dem sie sich frisch machen können. 

Und wer sorgt dafür, dass alles möglichst lange so schön bleibt? Die Stadtverwaltung hat außer sehr vielen Bänken und Fahrradständern viele ausführliche Hinweisschilder mit Regeln aufgestellt. Aber es sollte vor Ort jemand sein, der für  das Einhalten zuständig ist. Am Parkeingang steht ein Häuschen für den Security Mann. Der ist freundlich und wichtig, um den Park in einem guten Zustand zu halten.

Auf der anderen Seite beginnt das Friedhofsgelände. Der prominente Bau ist die Erinnerungsstätte. Hier gibt es vieles, woran man sich erinnern sollte, um Ereignisse in Zukunft zu vermeiden. Wir Deutschen halten zu Recht die Erinnerung an die Gräueltaten während der Zeit  des Nationalsozialismus wach. Hier sind es brutale und korrupte Regierungen, Drogenhandel und etliches mehr.

 

Diese Szene veranschaulicht das unmessbare Elend und die Not ermordeter Menschen, die aus politischen Gründen - auch finanzielle Not gehört dazu -  ihre Dörfer verlassen haben und  in den Städten verelendet und zu guter letzt umgebracht worden sind.

Zwei junge Amerikaner helfen mir bei der Übersetzung der Informationen, die ich hier nach meiner Erinnerung interprätiere.

Die Jungen erzählen mir, dass in einem der Räume hier gemeinsam an einem Projekt gegen Rassismus und Gewalt gearbeitet wird. Jeder darf sich daran beteiligen. Da bin ich dabei. Leider verstehen die Anwesenden kein Englisch. Aber mit ein wenig Geduld kommen wir uns näher. Die Gruppe arbeitet an verschieden goßen Stoffbildern, die später unterschiedlichste Verwendung finden werden. Die Leiterin des Projekts erzählt, dass eine der Arbeiten in einem Berliner Museum hängt.

Diese Gruppe ist dabei eine Landkarte zu gestalten. Du siehst, was für eine Arbeit darin steckt! Jedes Stoffteil muß angenäht werden. Alle Informationen werden gestickt.

Die Fachfrau ist die Mamita mit der Mütze. Die jungen Leute sind Studenten. Es geht zu wie im Taubenschlag. Interessierte kommen herein, lassen sich erklären um was es geht. Ich kann zwar nicht Spanisch sprechen, aber sehr wohl eine Menge verstehen und so freue ich mich, wenn ich höre, dass hier eine Deutsche  mitarbeitet.

 

Nach fast drei Stunden Häuschen, Fenster und Dächer annähen oder Namen sticken von Orten, in denen Massaker stattgefunden haben, verabschiede ich mich. Ich bedanke mich herzlich bei der Gruppe, dass sie mich mitarbeiten lassen haben. Mittlerweile ist eine junge Frau dabei, die übersetzen kann. Sie hilft mir auch herauszufinden, was es mit den vier dicken Knäueln geflochtener Stoffstreifen auf sich hat. Das sei die Arbeit von Frauengruppen, die gegen Gewalt arbeiten. Die Länge des gesamten Flechtwerks sind mehr als 2000 m. Ist das zu fassen! Sylvie, wenn du das liest, hast du einen guten Tipp für eine Aktion bei Menschen in Hanau. Alle Hanauer können sich an der Aktion beteiligen und auf dem Marktplatz an dem Band flechten. Wenn die vorgegebene Zeit um ist, wird gemessen und zwar wie bei unserer ersten Aktion mit dem roten Plastikband. Ich habe die Frauen der Gruppe gefragt, ob ich  Fotos machen dürfe, um eine ähnliche Aktion in  meiner Heimatstadt vorzuschlagen. Sie waren einverstanden.

Beim Abschied hat mich die junge Studentin gefragt, ob sie mich interviewen dürfe. Das sei ihre Aufgabe für den Unterricht. Dabei stellt sich heraus, dass sie außer Englisch auch Deutsch lernt!!

Um die Dicke der Knäule zu zeigen, läßt sie sich daneben fotografieren. Danke.